Christliche Fanatiker: Pastor Latzel, rechte Evangelikale in den USA

Meinung von Volker Keller, diskutiert gerne mit und sendet Eure Meinung an volker.keller@kirche-bremen.de

GEGENPREDIGT  gegen den evangelikalen PASTOR LATZEL, St. Martini, Bremen, 8.2.2015

Vorgeschichte: Kollege Latzel bezog sich in einer Predigt auf einen alttestamentlichen Bibeltext aus dem Buch der Richter. Daraus leitete er Gottes Ablehnung von Katholizismus, Islam und  Buddhismus ab. Latzels  Predigt gipfelte  in der  Verachtung dieser  Religionsgemeinschaften.

Ich bot den  evangelikalen Medien idea und Medrum meine Gegenpredigt für eine Veröffentlichung an. So kam sie ins Internet.  Meine Predigt hielt ich in der Vegesacker Stadtkirche. Es geht um die sachgemäße Auslegung der Bibel.

Im Jahre 2020 verurteilte ein Bremer Gericht Pastor Latzel aufgrund seiner verächtlichen Äußerungen über  Homosexuelle wegen Volksverhetzung. Daraufhin suspendierte ihn die Bremer Kirchenleitung vom Dienst. Seitdem sind der leitende Geistliche und die Präsidentin Opfer ständiger Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen durch Latzels Anhänger.

Bibeltext: Richter 6,25-32

Liebe Gemeinde,

Trotz der Entschuldigung von Pastor Latzel bleibt das Problem bestehen. Manche christliche Fundamentalisten wettern weiter gegen Angehörige anderer Religionen und Christen, die angeblich ungläubig sind. Die Internetseiten der Evangelikalen waren voll mit begeisterter Zustimmung zu der Predigt in St. Martini. Deshalb halte ich jetzt diese Gegenpredigt – trotz Latzels Entschuldigung. Er hat in seiner Predigt eine Haltung ausgedrückt, die verbreitet ist unter extremen Christen.

Die Pegidademonstranten und evangelikale Pastoren, die in den vergangenen Tagen bei der evangelikalen Presseagentur „idea“ auf sich aufmerksam gemacht haben, stehen dem Islam feindlich gegenüber. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass Prediger Latzel wie auch gleichgesinnte Kollegen Gottes Autorität für sich in Anspruch nehmen. Nicht Olaf Latzel predigt über einen Bibeltext, so, wie e r ihn versteht, sondern Gott spricht durch ihn. Seine Predigt hat er damals so verstanden, dass Gott es ist, der auffordert, die Kultgegenstände anderer Religionen „umzuhauen, zu verbrennen, zu zerhacken“.

Auf Internetseiten extremer Christen stellten Latzels Anhänger klar: Was Latzel verkündet, steht so wortwörtlich in der Bibel, das ist Gottes Wille! Wer also eine andere Meinung vertritt, widerspricht der Bibel und damit Gott, muss als Ungläubiger gelten.

Gotte Willen meinte  Latzel dadurch  zum Ausdruck zu bringen,  dass er Gebräuche anderer Religionen als „Blödsinn“, „Dreck“ oder „Mist“ bezeichnet und dass Christen gegen andere Religionen in Deutschland vorzugehen hätten, „einen Schnitt machen“ müssten. Er hat das zurück genommen, aber die bösen Geister, die er damit gerufen hat, die haben sich zu erkennen gegeben – im Internet. Was für eine Wut, was für ein Hass sich dort gezeigt hat!

Nein! Nach meinem Verständnis ist das nicht Gottes Wille – evangelikale Prediger dieser Art legen die Bibel falsch aus. Die Bibel ist Heilige Schrift, das bedeutet aber in keiner Weise, dass jeder Satz, jeder Abschnitt Gottes Wort für unsere Zeit darstellt, dass biblische Texte einfach aus ihrem Zusammenhang herausgenommen und unkritisch, unüberlegt in unsere Zeit übertragen werden können. Eine solche falsche Auslegungsmethode werfen wir Islamisten vor – und sie wird nicht dadurch richtiger, dass Christen sie anwenden.

Jeder Text der Bibel hat seine Zeit, und diese Zeit ist lange vergangen, und jeder Text hat seinen Ursprung in einer für uns fremden Welt. Das Richterbuch bezieht sich auf die Verhältnisse im alten Israel vor über 3000 Jahren. Bevor wir nach der Botschaft eines historischen Textes für uns fragen, gehen wir zurück in die alte Zeit, an den fernen Ort und fragen nach der Absicht des Verfassers damals. Was wollte er sagen? Wie hat er Gott gehört? Und dann erst sind wir an der Reihe.

Worum geht es in dem biblischen Buch der Richter? Die Stämme Israels waren in das Land Kanaan eingewandert. Fremde Stämme bedrohten die schwachen Israeliten, Überfälle kriegerischer Horden geschahen häufig und sie drängten Israel zurück; einen gemeinsamen König hatten die Stämme Israels noch nicht, aber starke, von Gott berufene Männer und Frauen traten hervor und führten das Volk: die Richter. Gideon war einer von ihnen. Gideon klagte sein Volk an, dass es sich fremden Göttern, Baal und Aschera, zugewendet hatte und seinem Gott untreu geworden war. Deshalb habe Gott sein Volk verstoßen und liefere es den fremden Kämpfern aus, Gideon liess kein gutes Haar an seinen eigenen Leuten. Um Gott wieder gnädig zu stimmen, legte er selbst Hand an und zerschlug im Haus seines Vaters einen Altar des Gottes Baal und eine Figur der Göttin Aschera.

Für Prediger Latzel gab es keinen Zweifel daran, dass viele Christen heute Gott untreu sind – zum Beispiel dann, wenn sie zum Zuckerfest der türkischen Muslime am Ende des Ramadan eingeladen werden und hingehen, oder wenn Christen und Muslime gleichermaßen bei Veranstaltungen Gebete halten. „Nein, da müssen wir ganz sauber bleiben!“, betont  er und weiß  Gott auf seiner Seite.

Ich widerspreche! Es mag zwar sein, dass Christen in einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr entchristlicht, unsicher sind und sich nicht klar zu ihrem Glauben bekennen; und es ist auch etwas dran, dass viele bei ihrer religiösen Suche die Entscheidung für Jesus Christus scheuen, aber die Anerkennung von Muslimen als gute Bürger unseres Landes und als treue Anhänger ihres Glaubens, hat nichts mit Schwäche der Christen zu tun – das ist Ausdruck ihrer Menschenfreundlichkeit. Wer das gute Verhältnis von Christen und Muslimen als Dreck bezeichnet, wie Latzel das in seiner Predigt tat, verbreitet eine menschenfeindliche Haltung. Aus solch einer Haltung folgte dann bei Latzel, dass er zwar vorgibt, die Muslime in Deutschland zu begrüßen, aber gleichzeitig den Islam nicht in Deutschland haben will.

Wer die Religion eines Menschen verachtet, den Kern seiner Identität, der verachtet den Menschen. Steht im Widerspruch zu Jesus.

Im Sinne Gottes handelt nach Jesus derjenige, der Gutes tut, wer Böses tut, handelt gegen Gott. Jesus stellt seinen Nachfolgern einen Samariter als vorbildlich vor Augen. Der Mann aus dem Volk der Samariter teilte zwar weder den Glauben der Juden noch den der Jesus-Anhänger, aber er galt Jesus als der Größte, weil er selbstlos einem Verletzten in einer Notlage beistand. Wir dürfen Menschen nicht nach ihrer Religion oder Nationalität als gut oder schlecht unterscheiden, sondern einzig nach ihrer Menschenfreundlichkeit oder Menschenfeindlichkeit. Ein Muslim kann ein guter Mensch sein, ein Christ ein schlechter – und umgekehrt.

Wir leben heute in anderen Zeiten als Gideon. Unser Volk wird nicht bedroht, nicht von außen und nicht von innen, wir müssen uns folglich nicht von Feinden und ihrer Religion abgrenzen, um eine schlagkräftige Einheit gegen sie zu bilden. Wir können ohne Feindbild leben. Keine bestimmte Gruppe oder Religionsgemeinschaft ist schuld daran, dass in Deutschland manche Probleme ungelöst sind wie der Reichtum auf der einen und die Armut auf der anderen Seite, wie die Abstiegsängste der Mittelschicht und ihre Unzufriedenheit. Das deutsche Volk weiß seinen 70-jährigen Frieden zu schätzen und muss sich nicht einreden lassen, dass Probleme mit „Umhauen, Verbrennen und Zerhacken“, mit Aggressivität und Spaltung zu lösen sind. Was uns heute weiterhilft, ist kein Kriegsgott, sondern die Menschenliebe Jesu. Hören wir sein Wort: „Seid freundlich zu allen Menschen, dann seid ihr vollkommen wie euer himmlischer Vater.“

Für mich ist dies Wort Jesu Gottes Wort, ich höre Gott zu mir sprechen. Der Gideon-Text ist für mich nicht Gottes Wort – auch wenn der Text in der Bibel steht. Gott lässt in jeder Zeit auf neue Weise, Bibelworte als seine Worte aufleuchten. Und weil Glaubende immer wieder diese Erfahrung machen, deshalb ist die Bibel für uns Heilige Schrift.

In der Hand von Fanatikern wird sie zur Kampfparole. Nicht mit uns!

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Rechte Evangelikale spalten die USA, November 2020

Kurz vor der Wahl des neuen Präsidenten im November betete eine evangelikale US-Predigerin im Gottesdienst zu Gott, und Gott habe ihr gesagt, rief sie laut in die Gemeinde hinein, dass Donald Trump wiedergewählt würde — die Kirchenbesucher jubelten. Wenige Tage später war klar: Nichts war‘s mit Wiederwahl. Gott muss sich geirrt haben.
60 Millionen US-Amerikaner gehören fundamentalistischen Freikirchen an, bei der Präsidentenwahl 2016 gaben 81 Prozent Donald Trump ihre Stimme und dieses Mal auch wieder fast alle. Die Evangelikalen lesen die Bibel als Tatsachenbericht: Heißt es, dass die Erde vor 6000 Jahren vom Schöpfer erschaffen wurde, gilt ihnen diese Angabe als unfehlbare naturwissenschaftliche Wahrheit. Geben Wissenschaftler das Alter der Erde mit 4,6 Milliarden Jahren an, lügen sie und täuschen die Bevölkerung—Gott wird sie im Jüngsten Gericht dafür bestrafen. Was für verrückte Leute!
Im vergangenen Jahr habe ich eine strenggläubige Kirche in Maine an der Ostküste besucht. Vor dem Gottesdienst traf man sich zur Bibelstunde. Alle hatten viel Wissen, stellten Fragen zu Glauben und Leben und suchten in der Bibel nach Antworten. Danach gab es Kaffee und Kekse, man kam ins Gespräch und dann fand ein lebendiger Gottesdienst mit Band und freien Reden und Gebeten statt—von Langeweile keine Spur.
Über die Inhalte der evangelikalen Weltsicht, beispielsweise es gebe keinen Klimawandel, kann ich nur den Kopf schütteln, besonders auch über die Verherrlichung Donald Trumps. Er sei der „Erwählte Gottes“, ein „Messias“, der von Gott dazu bestimmt wurde, die Vereinigten Staaten vor der Sünde und der Demokratischen Partei (Präsident Joe Biden ist Demokrat) zu retten. Heute sind die USA so tief gespalten, dass die Anhänger der beiden großen Parteien sich gegenseitig verachten—dazu haben auch die Evangelikalen beigetragen. Im demokratischen New York sagte mir ein Wähler der Demokratischen Partei: „Wenn meine Tochter einen Republikaner heiraten wollte, würde ich sie rauswerfen.“
Als ich in den 1980er Jahren als Theologiestudent ein Praktikum an der deutsch-amerikanischen St. Pauls-Kirche in Manhattan machte, erfuhr ich, dass die Evangelikalen zwar auch politischen Einfluss hätten, aber es gab andere liberale Kirchen, die für einen Ausgleich sorgten. Zum Beispiel die katholische. John F. Kennedy stammte genau wie Joe Biden von katholischen Iren ab. Bei Kennedy waren die Evangelikalen noch erschüttert, der katholische Biden scheint für sie kein Problem mehr zu sein. Dass er aber auf Wissenschaftler hört, ist ein großes Problem. Jedenfalls verschärfen sich die innergesellschaftlichen Konflikte, unterschiedliche „Kampfgruppen“ hören einander nicht mehr zu, ihr Reden wird mehr und mehr ideologisch, absolutistisch. Genau wie in Deutschland.
Wie will man mit Coronaleugnern sprechen? Vor Kurzem wussten die meisten von ihnen noch nichts über Virologie und jetzt spielen sie sich als Experten auf. Oder mit extremen Rechten? Oder extremen Linken? Oder Islamisten? Oder knallharten Geschlechter-Ideologen, die alle anderen auf ihre Sprachregeln verpflichten wollen? Oder mit Vertretern der „politischen Korrektheit“, die an den Universitäten Andersdenkende mundtot machen? Oder mit den Anhängern des Bremer Pastors Latzel? Offenbar schaffen es liberale, individualistische Gesellschaften immer weniger, die Bevölkerung zusammen zu bringen und ein gemeinsames Fundament an Werten, Respekt und Verhaltensweisen herzustellen, also Gemeinsinn zu erzeugen. Jeder scheint sich selbst der Nächste zu sein, Minderheiten überhöhen ihre partikularen Identitäten maßlos und versuchen mit allen Mitteln, ihre Interessen durchzusetzen. Rüder Trumpismus nicht nur in den USA.
Die USA sind unter Trump ein noch wütenderes Land geworden, das sich mehr und mehr bewaffnet. Nun macht Biden einen neuen Anlauf, den Menschen begreiflich zu machen, dass sie nicht zuerst Evangelikale, Katholiken, Linke, Rechte oder sonst etwas sind, sondern Amerikaner. Wie sympathisch!
Nach der Bibel sind alle Menschen „Ebenbilder“ Gottes, ohne Ausnahme teilen wir alle diese Würde. Wir alle tragen Verantwortung für die Schöpfung– darin sind wir alle gleich! Und wir tragen alle gemeinsam Verantwortung für das Gemeinwohl in unserer Gesellschaft.

Eure Meinungen

Friedrich Schulz zur Wiesch: Kein präzises Denken, 20.3.

Fanatiker denken nicht präzise. In seinem Text George F. Kennan und die Politik der Weltmächte definiert Carl-Friedrich von Weizsäcker den Begriff der Präzision wie folgt: „…Am wichtigsten für diese Politik der Mäßigung war die psychologisch präzise und eben darum (wie jede echte Präzision) maßvolle Beurteilung der russischen Ziele…“

Weizsäckers Text findet man in diesem Buch: Carl-Friedrich von Weizsäcker, Wahrnehmung der Neuzeit, München und Wien 1983, S. 190 ff., 201.

Uli Schulte, Pastor im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden:
BUNTES BILD DER EVANGELIKALEN, 21.1.
Darf ich widersprechen? „Die Evangelikalen“ gibt es genau so wenig wie „Die Katholiken“, „Die Protestanten“, „Die Juden“ oder „Die Muslime“. „Evangelical“ heißt ursprünglich im englischen Sprachraum einfach „Evangelisch“. Ins Deutsche übertragen wurde daraus dann seit den 1960er Jahren „Evangelikal“.
Vor gut über 100 Jahren standen die „Evangelicals“ für eine persönliche Jesusbeziehung, für Wertschätzung der Bibel als „Gottes Wort“, für Evangelisation und Mission, für lebendige, christliche Gemeinschaft. „Evangelikale“ waren aber auch sehr fortschrittlich – sie setzten sich ein für soziale Gerechtigkeit, für Menschenrechte, gegen Sklaverei, für die Gleichberechtigung der Frauen und vieles mehr.
In den letzten Jahrzehnten haben Teile der „Evangelicals“ in den USA eine starke Rückwärtsgewandtheit entwickelt. In der Symbiose mit nationalistischen Kräften entstand hier eine gefährliche Mischung. Da kann dann schnell die Bibel für manches herhalten, was keineswegs in der Aussageabsicht ihrer Texte liegt. Aber – was man bei einseitiger Berichterstattung leicht übersehen kann: Es gibt in den USA auch viele progressive „Evangelicals“ in allen Kirchen, ganz besonders in den schwarzen Gemeinden. Sie stehen u.a. für Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich, Gleichberechtigung, Umweltschutz, Bildung usw.
In Deutschland bilden „Evangelikale“ (den Terminus gibt es erst seit den 60er Jahren) ein sehr buntes und vielfältiges Bild ab – sowohl in in Landes- als auch in Freikirchen. Es gibt sehr konservative Strömungen, aber auch aufgeschlossene, moderne und zeitgemäße Ausprägungen. Die meisten der „evangelikal“ ausgerichteten Gemeinden sind auch in der „Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen“ (ACK) organisiert und grenzen sich von den extremen, bibelfundamentalistischen Rändern ab. Aber es gibt sie, die „Schwarzen Schafe“ – leider auch bei den Evangelikalen…
„Nach der Bibel sind alle Menschen „Ebenbilder“ Gottes, ohne Ausnahme teilen wir alle diese Würde. Wir alle tragen Verantwortung für die Schöpfung – darin sind wir alle gleich! Und wir tragen alle gemeinsam Verantwortung für das Gemeinwohl in unserer Gesellschaft.“
Diesen Ansatz von Volker Keller teile ich voll und ganz!
Auch wenn es manchmal fast aussichtslos erscheint: Gesprächsbereit zu bleiben, Brücken zu bauen, respektvoll miteinander umzugehen – auch mit Menschen, die nicht unsere Ansichten teilen: Das sollten wir niemals aufgeben!