MEINUNGEN  VON  VOLKER KELLER  zur Diskussion gestellt

(Eure Meinungen: siehe unten)

Zum Krieg in der Ukraine

1000. Kundgebung: Am 24.Februar haben alle verloren – Rede bei der  Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg am 4.3.2022

Liebe Aktive,

1000 Mal habt ihr demonstriert: Das war wichtig, was war nötig!

1000 Mal war die Botschaft: Friede ist nichts Festes, Beständiges, er ist verletzlich wie eine junge Osterblume im März, deren Knospen gerade aufgehen, plötzlich kommen  Nächte mit Frost und sie stirbt.

Die nüchterne Wahrheit  lautet: Krieg war und ist  eine Versuchung –   durch ihn Profit zu machen, Macht zu steigern, Probleme zu lösen. „Führe uns nicht in Versuchung“ – die Mächtigen erliegen immer wieder dieser Verführung. Die Sünde ist in der Welt.

Im November 2001fand die erste Kundgebung statt. Damals riefen wir „Sag nein!“ zum Afghanistankrieg. Harm Ridder sprach: Wir bringen unsere Angst und unser Erschrecken zum Ausdruck. Ich sagte damals in Richtung der Kriegführenden: „Mit eurem  Krieg löst ihr keine Probleme, ihr schafft neue.“ Eine Demonstration war geplant, aber schon bald kündigten wir an: Wir werden nicht wieder aufhören, bevor der Krieg in Afghanistan zu Ende ist. Nach 20 Jahren war er 2021 zu Ende. Aufhören war  keine Option. Es herrscht wieder Frost – uns allen wird eiskalt in diesen Tagen.

Liebe Aktive,

ich danke euch: Für 1000 Wochen an dieser zugigen Stelle in der Gerhard-Rohlfs-Straße. Für 1000 Reden, 1000 Gedichte, 1000 Lieder, 1000 Geldsammlungen (51 000 Euro wurden gesammelt), für 1000 Mal Vorbereitung und Nachbereitung:  Was für eine große zeitliche, geistige, psychische und körperliche Leistung. Ihr habt euch hier die Füße abgefroren im Winter und seid gebacken worden im hohen Sommer.

Gerd-Rolf, diese Initiative ist Teil deines Lebens, deines Alltags geworden, du hast deine ganze Energie hineingegeben. Du hast die Gruppe geführt  und andere mitgezogen. Dir und euch allen ist zu danken. Ihr habt stellvertretend demonstriert für andere, die nicht immer da sind, aber euch im Geiste verbunden.

Worum es hier geht, hat Eugen Drewermann zum Ausdruck gebracht, als er 2003 an dieser Stelle eine Rede hielt: um die Ächtung des Krieges. Seine Worte: „Krieg ist kein Heilmittel. Krieg ist selbst die Krankheit.“

Donnerstag, der 24. Februar 2022 hat Deutschland, Europa, die Welt verändert, hat mich verändert, hat euch verändert. Wir haben alle verloren.Die drei Konfliktparteien haben verloren:

  • die Ukraine: Menschen sterben, Städte werden verwüstet, der Freiheit wird wie mit einem Hammer auf den Kopf gehauen. Wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, bekomme ich Kopfschmerzen.
  • die russischen Machthaber: Ihr Krieg wird geächtet, sie werden geächtet. Putin hat sich zum Fein Europas gemacht. Er trägt das Kainsmal für immer auf der Stirn.
  • und Europa: 20 Jahre lang hat der russische Präsident Europa Partnerschaft angeboten: eine Freihandelszone von Wladiwostock im äußersten Osten Russlands bis nach Lissabon ganz im Westen Europas. Er warb dafür  2003 im Deutschen Bundestag und zuletzt noch im vergangenen Jahr; und er warb für ein gemeinsames Sicherheitssystem ohne Drohung und Gegendrohung.

Der Westen hat sich anders entscheiden: für eine harte Ostgrenze zwischen den osteuropäischen Ländern und Russland. Er hat Freihandelsabkommen abgeschlossen – mit den Nachbarn Russlands, nicht mir Russland. Er hat Visafreiheit gewährt –  den Nachbarn, nicht  Russland. Warum nicht?

Wenn der Krieg vorüber ist, nicht jetzt, jetzt geht es nur um die Rettung der Ukraine, dann werden die Fragen gestellt werden müssen: Wie konnte es so schlimm werden? Wie konnte das geschehen?

Navid Kermani hat sich in der ZEIT kritisch über die westliche Russlandpolitik geäußert. Der Deutsch-Iraner ist ein anerkannter Intellektueller, hielt im vergangenen Jahr die Rede im Deutschen Bundestag zum 3. Oktober; er ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Kermani  beklagt:

  • die Sowjetunion stellte dem Westen für die Wiedervereinigung Deutschlands eine Bedingung: Keine Osterweiterung der Nato. Dieses Versprechen wurde von amerikanischer und deutscher Seite gegeben. Kurz nach der Wiedervereinigung aber begann die Nato mit ihrer Expansion in die Länder an der Grenze zu Russland. Für Putin stellt das gebrochene Versprechen eine tiefe Kränkung dar, einen Vertrauensbruch.
  • es war ein folgenreicher Fehler, Russland nicht in die europäische Sicherheitsarchitektur einbezogen zu haben. Putin war dazu bereit.

Was ist aus Putin geworden? Ich hielt ihn für einen rationalen Politiker, der keine unberechenbaren Risiken einging, der in seinen Äußerungen und in seinem Verhalten Europa gegenüber gemäßigt war. Und nun dieses von Hass und Verachtung verzerrte Gesicht und die bösen Beschimpfungen der  ukrainischen Regierung und Europas. Was ist das für ein Mensch, der Atomwaffen aktiviert und sie gegen Europa richtet? Was ist  aus Putin geworden? Wie ist es dazu gekommen? Gerade diejenigen, die versucht haben, Russlands Politik und den Präsidenten des Landes zu verstehen, die Interessen, die Kränkungen, gerade die  sind nun schockiert und zweifeln an sich selbst. Gerd-Rolf, wir beide gehören auch zu diesen. Du hast mir gesagt: Ich bin genauso entsetzt wie du – Krieg gegen ein Brudervolk: die Waffen nieder!

Gegen ein slawisches Brudervolk: Kain tötet Abel. Kain trägt für immer das Kainsmal.

Liebe Friedens-Freundinnen und Freunde,

jeder müsste jede Woche demonstrieren: Wir dürfen die Welt nicht den Gewalttätern überlassen! Aber wir sind manchmal auch erschöpft durch die vielen Krisen und Katastrophen. Da löst die eine die andere ab oder drei überlagern sich gleichzeitig wie zur Zeit: die Klimakrise, die Pandemie und der Krieg. Uns quälte islamistischer Terror und belastete die Flüchtlingskrise. Wie viel kann man eigentlich psychisch aushalten? Wie soll es nur weiter gehen mit unserer schönen Welt?

Als ich in den 1980er Jahren studierte, faszinierte mich der marxistische  Philosoph  Ernst Bloch und sein populäres Werk „Prinzip Hoffnung“ wie auch der Theologe  Jürgen Moltmann, der an Bloch anknüpfte mit seiner „Theologie der Hoffnung“.

Bloch ging davon aus, dass den  Menschen der „Archetyp (ein Urwissen) eines höchsten Gutes“, das in der Welt wirkt,  leitet und die „Ahnung eines besseren Lebens“ in ihm auslöst. Menschen müssten endlich aufwachen und die „Möglichkeiten“ der Veränderung erkennen – die Welt sei veränderbar.

Moltmann übersetzte das philosophische Denken in theologisches: Das Reich Gottes (das Gute) sei wirksam in der Welt, es inspiriere Menschen, dass sie sich nicht mit der unbefriedigenden Wirklichkeit abfänden, sie für determiniert hielten, für ein für alle Mal fest und starr, sondern dass sie das „Meer der Möglichkeiten“ erkennten. Es sei möglich, Neues zu schaffen, das, was noch nicht da war, was als unwahrscheinlich oder unmöglich galt.

Beide Denker richteten sich gegen den Konservativismus in der jungen Bundesrepublik, der von Kanzler Adenauer so zusammengefasst wurde: „Keine Experimente!“ Willy Brandt segelte dann  im Wind der neuen Gedanken und forderte „Demokratie wagen“, das Neue wagen. Die Hoffnung leitet mich. Die Hoffnung, dass der Mensch ein höheres Bewusstsein erreicht.

Neu ist in diesen Tagen die Einigkeit Europas, der 27 Mitgliedsstaaten des Europäischen Parlaments. Die EU-Abgeordneten scheinen diese Einigkeit selbst noch nicht  glauben zu können – das hat es noch nie gegeben: Selbst ein Viktor Orban aus Ungarn verkündet, dass er alle Maßnahmen gegen den Krieg und Putin für richtig hält und  dass er die Sanktionen voll unterstützt. In der Generalversammlung der UNO stimmte eine gewaltige Anzahl von Staaten für eine Verurteilung Russlands. Die Türkei sperrt den Bosporus für russische Kriegsschiffe. Japan bietet der Ukraine ein 100 Millionen-Dollar Darlehen zinsfrei an und beteiligt sich an den Sanktionen, auch Südkorea, Neuseeland, Australien, Länder, die weit weg sind und deren Bevölkerungen die Ukraine wohl gar nicht kennen, sowie auch Canada und die USA. Der Weltjudoverband entzieht Putin seine Ehrenmitgliedschaft, der Weltfußballverband sperrt die russische Nationalmannschaft, das Internationale Olympische Komitee die russischen Athleten. Es fällt nicht ein Schuss, ohne Soldaten, ohne Panzer und Raketen wird der Aggressor hart bekämpft, gewaltlos, allein durch die Stärke der Einigkeit. Das ist neu. Das macht mir Hoffnung.

Vielleicht muss es erst schlimmer werden, bevor es besser wird; müssen erst Städte und Dörfer in Fluten versinken, dass wir trägen Menschen den Klimawandel begreifen; muss erst Krieg sein, dass wir begreifen:  wir müssen zusammenhalten  und den Egoismus überwinden. Gemeinsam sind wir stark!

Heute ist euer Tag. Wir halten Rückblick auf 1000 Kundgebungen gegen den Krieg und „gegen die Diener des Todes“, so steht es auf eurem  Transparent geschrieben. Ihr seid auch manchmal erschöpft, deprimiert, hoffnungslos. Aber trotzdem seid ihr ein Zeichen der Hoffnung. Ihr steht hier Woche für Woche, ächtet den Krieg, lasst euren Frust auch mal raus, ihr singt. Ihr glaubt an die Wende der Welt. Ihr glaubt an eine Welt, die Nein! sagt zum Krieg.

Wie John Lennon. Ich habe 2019 im Central Park in New York den Ort besucht, wo er erschossen wurde. Er ist tot, aber sein Lied lebt. Musiker singen und spielen es dort Tag und Nacht.  Imagine ist zum  Lied des Protests gegen den Krieg in der Ukraine geworden. Tausende sangen es auf dem Rathausmarkt in Hamburg, vor dem Brandenburger Tor und letzten Sonnabend erklang es im Frankfurter Fußballstadion vor dem Bundesligaspiel:

„Stell dir vor, alle Menschen leben in Frieden. Du magst sagen, ich sei ein Träumer. Aber ich bin nicht der einzige. Und ich hoffe, irgendwann gehörst du zu uns – und die Welt wird eins.“

Seht ihr euch auch so: als Träumer? Klingt irgendwie blöd,  oder? Klingt naiv. Ist aber ganz positiv gemeint. Martin Luther King war ein starker Mann. Seine Rede wurde berühmt: „I have a dream.“ In diesem Sinne: Hört nicht auf zu träumen! Helft anderen zu träumen! Nächsten Freitag um 17 Uhr geht es weiter – bei der 1001. Kundgebung. Die Hoffnung braucht euch.

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Dritter Weltkrieg? 2020

„Was siehst du den Splitter im Auge des Anderen, aber den Balken in deinem Auge siehst du nicht?“, fragt Jesus. Der Balken im Auge macht blind. Wer blind ist, urteilt über Andere, ohne ihnen gerecht zu werden, weil  Selbstgerechtigkeit seine Sicht trübt.  Was Jesus sagen will: „Richte nicht! Guck dich erst mal selbst an—wie du wirklich bist!“

Es ist wohl  menschlich beim Anderen den Makel zu sehen und sich selbst gegenüber großzügig weg zu gucken. Aber es kann auch gefährlich werden. Einer der höchstrangigen US-und Nato– Militärs, Admiral James Stavridis, hat seinen Beruf gewechselt und ist Romanautor geworden. Seinem Thema „Krieg“ bleibt er jedoch treu. In seiner Geschichte lässt er den 3. Weltkrieg ausbrechen. Keiner will ihn, aber eine unkontrollierte Dynamik steigert einen kleinen militärischen Zwischenfall, an dem die  USA und China beteiligt sind, zum Weltenbrand.“Es gibt heute einen naiven Mangel an Vorstellungskraft eines neuen Weltkrieges,“ kritisiert der Autor.

Ich will nicht nur auf die früheren Kriege zurück  blicken, sondern aktuelle Gefahren des Friedens in den Blick  nehmen. Aus westlicher Sicht scheint der Fall klar zu sein: China und Russland gefährden den Frieden, das westliche Militärbündnis Nato ist eine Friedensmacht und beschützt  die Welt.

Ist das nachvollziehbar? Oder sieht der Westen womöglich den Splitter im Auge des Anderen und  den Balken in seinem Auge nicht? Ist die Verurteilung der beiden Länder  fair oder fehlt ihr Ehrlichkeit?

Was wird China vorgeworfen? Dass das Land im gr0ßen Maß  aufrüstet. Ehrlicherweise müsste man im Westen zugeben, dass Chinas Militärkapazitäten nicht annähernd an die der USA heranreichen. Dass China im Südchinesischen Meer aggressiv auftritt—in Hong Kong und gegenüber Taiwan. Dabei ist nicht zu vergessen, dass der europäische Kolonialismus China Hong Kong weggenommen hat—China korrigiert jetzt dieses imperialistische Verbrechen der Briten. Die Drohungen gegen das unabhängige Taiwan werden von China als eine interne Angelegenheit angesehen —China sieht Taiwan als einen Teil seines Landes. Ist es  gerecht, wenn die Nato  darin eine Bedrohung der Welt erkennen will?

Und zu Russland: Putin sei böse, weil er die ukrainische Krim annektiert habe, sagt der Westen. Als ich in Russland war, sagten mir Russen, dass sie die Nato als eine Bedrohung Russlands ansähen. „US-Militär ist nur etwa 100 Kilometer von unserer Grenze  entfernt – was will es dort?“, fragte eine Russin.Wie würden die USA reagieren, sollte Russland an der mexikanischen  Grenze zur USA sein Militär stationieren? Panisch. Als sich 1989 die Sowjetunion auflöste, löste sich auch der Warschauer Pakt auf – die Nato blieb bestehen und erweiterte sich in den nächsten Jahren um 14 osteuropäische Staaten (eine ganze Reihe davon standen bedingungslos an der Seite der USA in ihrem völlkerrechtswirdrigen Krieg gegen den Irak). Die neuen Mitglieder wurden aufgerüstet und in den baltischen Staaten baute der US-Geheimdienst Technologie auf, um Russland fortan abhören zu können. Der Russischen Föderation wurde kein Angebot beizutreten gemacht. Warum nicht? Putin war bereit dazu. Der sowjetische Präsident Gorbatschow hatte die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht und wird im Westen deshalb sehr geschätzt. Er kritisierte die Nato-Osterweiterung scharf: Der Westen zerstöre das Vertrauen der Russen.  Mein Taxifahrer Mikael warnte den Westen: „Don’t touch Russia!“ (Wagt es nicht nicht, Russland anzufassen!)   Und die Krim? Die USA  wollten  die Krim als Basis für ihre Kriegsschiffe —das konnte Putin nicht zulassen. Und wie ist der Vorwurf eigentlich zu verstehen, Putin unterstütze einen Diktator – Assad in Syrien? Was würde in Syrien geschehen, verlöre Assad mit seinen  Regierungstruppen den Krieg? Das Land fiele in die Hände von irren Gotteskriegern. Wäre  das etwa die bessere Alternative? Wohl kaum!

Was bewegt die USA, Keile zwischen Europa und Russland und Europa und China zu treiben? Die Bemühung beider Länder, eine eurasische (europäisch-asiatische) Wirtschaftsregion zu schaffen – ohne die USA? In seinem Offenen Brief an Deutschland anlässlich des 80. Jahrestages der deutschen Invasion in der Sowjetuinon am 22.6.1941  wiederholte Putin seine Vorstellung einer Vereinigung der Europäischen und der Eurasischen Union („von Wladiwostock bis Lissabon“)  mit dem Ziel einer gemeinsamen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Ohne die USA. Die weltpolitische Entwicklung scheint überhaupt gegen die Amerikaner zu laufen. Die ZEIT-Korrespondentin Andrea Böhm betitelt ihr Buch in diesem Sinne „Das Ende der westlichen Weltordnung“.

Im Juli spach US-Präsident Biden tatsächlich von der Möglichkeit eines Krieges: „Wenn wir  in einem Krieg, einem echten Krieg  mit einer Großmacht enden, dann als Folge eines Cyberangriffs.“ Und natürlich hat er als Cyberkrieger  China im Sinn – er übersieht großzügig den   kriminellen Großangriff des amerikanischen Geheimdienestes  NSA  auf westeuropäische Kommunikationssysteme  (auf Abgeordnete des Europaparlaments,  auf Bundestagsabgeordnete, sogar das Handy der Bundeskanzlerin wurde von den Amerikanern gehakt). Die USA eroberten im 19. Jahrhundert die Westpazifikinsel Guam, führten von ihr aus den Korea- und Vietnamkrieg und bauen die Insel heute  zu einer gewatigen  Militärbasis aus. Im Herbst wird erstmals die deutsche Fragatte Bayern in diese ferne Region vordringen und die Amerikaner dort besuchen. Die deutsche Außenministerin Kramp-Karrenbauer  übernimmt  die Rhetorik der Amerikaner, wenn sie von China als „Gegner“ im Pazifik und von Russland als „Gegner“  in Europa spricht. Spannen die Amerikaner die Deutschen vor ihren Karren? Angeblich geht es um den Schutz der Handelsrouten. Hat China diese jemals blockiert? Und mit Russland läuft der Handel völlig reibungslos, Russland ist ein verlässlicher Partner.  Angeblich zeige China seine Aggressivität durch die Einrichtung von Militärbasen im Pazifik. Kann das nicht auch eine Reaktion auf den  aggressiven Westen sein?

Admiral Stavridis schrieb im Sinne Jesu: „Wir müssen uns in die andere Seite hineinversetzen. Es ist falsch, wenn schlichte Muster von Gut und Böse vorherrschen.“  Nur so können wir weitere große Kriege vermeiden.

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EURE  MEINUNGEN:

Friedrich Schulz zur Wiesch: Zarismus=Sowjetunion=Putin, 20.3.2022

Jetzt befinden wir uns schon in der 4. Woche des Krieges.

Es folgt ein 1982 erschienener Text den man als eine gute Kommentierung der Politik Putins ansehen kann. Der Text ist ein Auszug aus

diesem Artikel: Carl Friedrich von Weizsäcker, George F. Kennan und die Politik der Weltmächte, in: Carl Friedrich von Weizsäcker, Wahr-

nehmung der Neuzeit, München Wien 1983, S. 190 ff., 193

„In seinem hauptsächlichen Inhalt ist das Buch (George F. Kennan, Russia leaves the war, Princeton 1956) ein Stück russischer Geschichte

unter den Zaren Alexander II. und Alexander III. Kennan ist, bei aller Weite seines Horizonts, als Diplomat wie als Historiker in erster Linie

ein Rußland-Spezialist vom höchsten Rang. Mir sprang beim Lesen nichts mit solcher Evidenz in die Augen wie die strukturelle Gleichartig

keit der zaristischen und der sowjetischen Politik: ebensowohl die Außenpolitik, die, wie Bismarck gesagt hat, gleich einer Flüssigkeit jeden

Hohlraum füllt, bis sie an eine feste Wand stößt, die Militärpolitik der ängstlichen Überrüstung, der gefühllosen Brutalität gegen schwächere

und nachtragenden Nachgiebigkeit gegen Starke, wie die Innenpolitik des mißtrauischen Absolutismus. In wie vielen Details erinnert die

Behandlung des bulgarischen Vasallen in der Ära Battenberg an die Behandlung der Vasallen des stalinistischen Imperiums!“

Man kann wohl sagen, dass Putin die Politik der Zaren und der Sowjets fortsetzt. Vielleicht stellt sich am Ende heraus, dass die Ukraine

eine „feste Wand“ ist.

George F. Kennan (1904 – 2005) war ein amerikanischer Diplomat und Historiker.

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Ronald Herr: Russland viele Jahre zum Prügelknaben gemacht, 6.3.22

Natürlich verurteile ich den russischen Einmarsch aufs Schärfste. Er verdient es nicht mal Krieg genannt zu werden, sondern ist ein barbarischer Überfall.

Falsch ist es meines Erachtens, von Putins Krieg zu reden. Das erweckt den Eindruck, als hätten wir es mit  der Willkür einer einzelnen Person zu tun, mit einem außer Kontrolle geratenen Despoten. Das wäre ja einfach. Da bräuchte man nur diese Person zu entfernen, und alles wäre wieder in Ordnung.

Aber hinter Putin steht die Duma, seine Partei und wohl auch ein großer Teil des russischen Volkes. Man macht es sich wohl auch zu einfach, diese Leute als verblendet anzusehen und zu meinen, man bräuchte sie nur mit den „richtigen“ Informationen zu versorgen, um den Spuk zu beenden. Ich gehe davon aus, dass diese Leute von ihrem Standpunkt aus genau das Richtige zu tun meinen.

Wie aber konnte es dazu kommen, und wie geht man in Russland mit dem weltweiten Protest um? Ich vermute, dass man sich in der Opferrolle sieht:

das Opfer, das sich (endlich) wehrt, David, der gegen Goliath antritt. Hier kommt für mich Westeuropa ins Spiel: Haben wir nicht über viele Jahre hinweg Russland zum Prügelknaben gemacht, sein Regierungssystem verachtet? Meines Erachtens haben wir unser demokratisches System verabsolutiert, haben eine eurozentrische Arroganz entwickelt: Eine „gute“ Regierung basiert auf dem Westminster Parteiensystem. Alles andere ist „schlechte“ Regierung (ich denke nur an die entwicklungspolitischen Forderung für Afrika). Wir müssen von unserem hohen Ross runter und anerkennen, dass es kulturbedingt unterschiedliche Regierungsformen gibt – zumal wir ja auch sehen können, wie schwer sich unser System mit dem Umgang mit den gegenwärtigen Katastrophen tut. Man kann ja auch mal fragen, wieso sich die osteuropäischen Staaten bei der Integration in die EU so schwer tun: Wollen die nicht, oder denken die kulturell anders?

Wie wird Russland sich weiter verhalten? „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert!“  Ich  glaube, dass Russland  versuchen  wird, die Ukraine zu annektieren. Sollte das gelingen, wird es auch in andere Nachbarstaaten einmarschieren. Wer einmal Blut geleckt hat, ist schwer zu stoppen. Man wird eine gewisse durch die Sanktionen bedingte Leidensbereitschaft aufbringen und stolz darauf sein, von den Anderen gefürchtet zu werden. Außerdem hängt der Westen ja am Ölhahn und darf sich nicht zu viel erlauben. Bestenfalls wird sich Russland einen Abbruch der Invasion teuer bezahlen lassen.

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Friedrich Schulz zur Wiesch: Kommt ein mit Atomwaffen geführter 3. Weltkrieg?, 6.3.22
Es folgt eine Passage aus diesem Buch: Carl Friedrich von Weizsäcker, Wahrnehmung der Neuzeit, München Wien 1983, S. 356:
„Die Naturwissenschaft ist die größte Bewußtseinsveränderung der Menschheit seit dem Kommen der Hochreligionen und der Kulturen des ersten vorchristlichen Jahrtausends; ich nenne sie gern den harten Kern der Neuzeit. Sie gibt uns eine nie dagewesene intellektuelle, folglich technische, folglich politische Macht. Es ist undenkbar, daß die Menschheit sich durch diese Macht nicht selbst zerstört, wenn sie nicht eine ebenso radikale moralische Wandlung durchmacht.“
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Gerd-Rolf Rosenberger, Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg: Die Waffen nieder!, 6.3.22
Mit der Innenpolitik Putins war ich nie einverstanden, aber ich bewunderte ihn wegen seiner klugen Außenpolitik des Friedens.  Das hat er für immer zerstört.  Ausgerechnet Putin, aus Leningrad stammend, wo 1 200 000 Menschen während der nazifaschistischen Blockade verhungerten, seuchenfrei blieb, weil Menschen alles auf aßen, Hunde, Katzen, Ratten usw. Nichts blieb mehr übrig.  Er kennt alle Gedenkstätten in seiner Heimat, wo bis zu 450 000 Menschen begraben sind, Rotarmisten, Arbeiter, Frauen und Kinder.  Putin so alt wie ich, muss sich derart gekränkt fühlen, ins Unermessliche gesteigert haben, dass er selbst einen Angriffskrieg gegen ein Brudervolk befohlen hat. Unfassbar aber auch, dass die Politiker der „westlichen Wertegemeinschaft“ nicht ansatzweise auch auf berechtigte Forderungen Putins eingegangen sind, die NATO an den östlichen Grenzen zu Russland abzuziehen und das Wichtigste, in einem Moratorium zumindest für 10 Jahre festzuschreiben, dass die Ukraine in dieser Zeit kein Mitglied der NATO werden darf.
Der Krieg muss sofort beendet werden,  die Waffen nieder!“

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Gisela Vormann: Kein Tag ohne das mediale Feindbild Russland und China, 2020

Meine Ängste hinsichtlich eines bevorstehenden 3. Weltkriegs sind groß.

Mich ängstigt sehr, dass ich feststelle, dass in der jungen Generation das Thema Krieg überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Selbst bei der Klimafrage wird ignoriert, dass 60% der Treibhausgas fördernden Emissionen durch Militär und Kriege verursacht werden. Weiter ängstigt mich, wie von der Politik und von den Medien systematisch das  Feindbild Russlands und Chinas aufgebaut wird, gegen unsere Interessen, aber im Interesse der USA. Es vergeht kein Tag an dem nicht Russland oder China als Aggressoren  dargestellt werden, dabei ist es gerade umgekehrt.

Provozierende Großmanöver abwechselnd vor Russlands und Chinas Toren dienen angeblich der Verteidigung. Ich frage mich, ob unsere Politiker auch inzwischen viele aus der Partei DIE LINKE, gar nicht  merken, dass sich ein Krieg auf europäischem Boden abspielen würde. Selbst in Kreisen der Friedensbewegung gibt es Leute, die Putin als den größten Verbrecher bezeichnen. Man merkt daran, wie die tägliche“ Berieselung“ Wirkung zeigt. Wenn man glaubt, dass der nächste Weltkrieg atomar geführt werden wird, und sogar ein möglicher siegreicher Erstschlag in Erwägung gezogen wird, kann ich nicht verstehen warum man nicht alles daran setzt um Völkerverständigung zu erreichen,und Kriege zu verhindern, als ob wir uns mit dem Klima nicht schon genug Ärger an Land gezogen hätten. Ich werde nicht müde, immer wieder darauf hin zu weisen, dass ein Galaxy- Großraumtransporter, allein für den Start 3.500 Liter Treibstoff benötigt, damit könnte ich mit unserem Auto mindestens 1x um die ganze Erde fahren. Ein Eurofighter verbraucht in der Minute 100 Liter Treibstoff. Es gibt allein in Ramstein 30.000 Starts und Landungen jährlich. Das muss man sich mal vorstellen. Das hat jetzt zwar nichts mehr mit dem 3. Weltkrieg zu tun, aber für mich bedeutet  auch das Krieg, so lange diese Tatsachen nicht publik gemacht zu werden brauchen.

Für mich ist jedes Klimagespräch witzlos, solange die Militärs so weiter machen dürfen. Auf irgend eine Weise schaffen wir es schon, uns selbst zu vernichten.

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Dr. Menno Visser: Macht mir Angst, 2020

Hallo Volker, auch ich nehme eine wieder zunehmende Benutzung von kriegstreiberischen Äußerungen und Aktionen war, von allen drei Seiten. Deine Argumentation verstehe ich als Aufźeigen von kriegstreiberischen Aktionen der Nato, um ein Gegengewicht zu schaffen gegen z.B. die FAZ“propaganda“, eine teilweise sehr gute Zeitung, aber nur teilweise. Die Aktionen von China und Russland sind bei dir unterbelichtet. Aber ich gebe dir insofern Recht: wir müssen mehr zuhören. Aber das predigt unser SPDaußenminister doch die ganze Zeit, zum Missfallen der CDU und der USA. Biden macht mir tatsächlich etwas Angst.


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Ronald Herr: Dritter Weltkrieg?, 2020

Hoffentlich nicht. Joe Bidens Aussage ging wie ein Lauffeuer durch die Presse. Aber bevor man in Panik gerät, sollte man erst einmal genau analysieren, wann, wo und zu wem er solche Äußerung gemacht hat. Dummerweise läuft ständig ein ganzer Tross von Reporten hinter einem amerikanischen Präsidenten her, um irgendein Wort von ihm zu ergattern, dass dann oft zusammenhangslos in die Weltgeschichte hinausposaunt wird. Und  wie bei der „stillen Post“ wandelt es sich auch auf diesem Weg.

Dritter Weltkrieg? Unmöglich? Nein. Die Welt ist ein Pulverfass. An Kriegen fehlt es ja nicht. Sie gehören irgendwie zu Alltag, und die meisten Kriege, die heute geführt werden, sind „Stellvertreter Kriege“, d.h. sie haben somit das Potential, jederzeit zu Weltkriegen zu werden.

Es ist also naiv zu meinen, dass die Zeit der Kriege vorbei sei. Auch ist es naiv zu glauben, dass der Mensch ein durch und durch friedliches Wesen ist.

Das Menschenbild der Moderne ist einfach falsch. Um das zu begreifen, muss man sich nur die täglichen Nachrichten ansehen und -hören. Es geht nicht um irgendwelche dummen Ausrutsche, die halt mal vorkommen, sondern zeigen, wie es um den Menschen gestellt ist. Der liberalistische Glaube, dass Rassismus und Diskriminierung durch eine paar aufklärende Gespräche überwunden werden, geht an der Tatsache vorbei, dass sie tief im menschlichen Wesen verankert sind. Vielmehr sollten wir dankbar dafür sein, wenn wir erleben dürfen, dass sie gelegentlich überwunden werden, dass wir hier in Europa eine so lange kriegslose Zeit erfahren durften und dafür beten, dass es noch lange so bleiben möchte. Das kann sich sehr schnell ändern – auch ohne Joe Bidens Äußerung.

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Herbert Brüdt: Kriegsvorbereitung in hündischer  Abhängigkeit, 2020

Du beschreibst die Lage genauso wie ich sie sehe. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, Kriegsvorbereitungen sind auch in unserem Land seit Jahren im Gange (Einführung der Berufsarmee, Beschaffung von waffenfähigen Drohnen, Erhöhung des Militäretats, zT „Propaganda“nachrichten, Zunahme der Überwachung, etc).
Was dabei vor allem Besorgnis erregt ist die „hündische“ Abhängigkeit Deutschlands vom aggressivsten Beteiligten, den USA. Für westliche Staaten sind Verträge nur gut, solange sie etwas nützen, während China und Russland, soweit ich informiert bin, vertragstreu sind. Deutschland hat die meisten Vertragsverletzungen aller Staaten in der EU. Wir sind die Guten.
Die USA haben einen gigantischen Schuldenberg, deshalb können sie die von ihnen verursachten Kriege nicht mehr zahlen, haben gigantische innenpolitische Probleme, die noch weiter kulminieren werden. Und so werden sie es machen wie immer in der Geschichte, man provoziert einen großen Krieg und zieht das dumme Deutschland mit hinein. Dumm gelaufen. Wir verteidigen Demokratie (welche?) und Menschenrechte, aber immer nur in anderen Ländern, uns ist nichts mehr peinlich.