Buddhistisch-christliche Begegnungen auf einer Rundreise durch Sri Lanka

Connection 9/2015

Dem Buddhismus fehlt Demut!« Mancher Christ kommt zu diesem Verdacht, weil der Buddhismus eine Religion ohne Gott ist. Ohne Gott, keine Demut! So einfach will ich es mir nicht machen. Ich bin auch Christ, trotzdem freue ich mich auf Sri Lanka, auf ein Land, in dem der Buddha den Ankommenden am Bandaranaike Airport sanft anlächelt. Die große Figur im Terminal wird nicht der letzte Bote der Lehre des »Erwachten« sein.

Auch Sunil lächelt mir entgegen. Wir sind verabredet. Er wird mich zwei Wochen lang durch sein Land begleiten. Der Singhalese faltet seine Hände vor der Brust und verneigt sich: »Willkommen!« Als wir an der Buddhafigur vorbeigehen, bleibt er stehen und verneigt sich kurz auch vor ihr. »Warum verneigst du dich?«, frage ich ihn, »Buddha ist kein Gott.« Der Buddha sei tatsächlich im Nirvana und dort unzugänglich, erklärt er mir, Gebete erreichten ihn nicht. Sunil verehrt ihn trotzdem, weil der Erleuchtete etwas Außergewöhnliches geschafft habe: Er habe Frieden gefunden.

Nach dem Einchecken im Hotel machen wir uns gleich auf zum Haupttempel Gangaramaya. Mit der Dunkelheit kommen die Einheimischen, um mit den Mönchen zu sprechen, Sutren zu rezitieren oder einfach Blumen vor den Buddhas abzulegen. Mit profanen Oldtimern habe ich nicht gerechnet – und mit Ganesha auch nicht. Ein britischer Rolls Royce und ein deutscher Mercedes, Baujahr 1908, dekorieren den Eingangsbereich. Die englischen Kolonialherren ließen die Autos zurück, als sie ihre Herrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg aufgaben. Die Figur des Elefantengottes Ganesha verehren eigentlich die Hindus, aber Ganesha ist auch bei Buddhisten beliebt – denn er räumt ja Hindernisse im Alltagsleben beiseite. Mein erster Eindruck von diesem Land: Die strikte Trennung von Alltagswelt und Religion, von Buddhismus und Hinduismus wollen anscheinend weder die Hindugötter noch der Buddha – alles gehört irgendwie zusammen.

»Sorge dich nicht um dich, sondern um die Menschen!«

Sunil kennt Ananda, den in orange gewandeten Mönch mit geschorenem Kopf, und bittet ihn um eine Erläuterung des Buddhismus. Der Alte fragt mich, welche Religion ich habe. »Ich glaube an Jesus – Jesus verkörpert die Liebe Gottes.« Gut, meint er, Jesus habe nicht an der Vorstellung einer »Seele« gehangen und sie gepflegt, er hing auch nicht an der Welt – sondern war frei zu sterben. Im Schneidersitz sitzen Sunil und ich vor dem Geistlichen und hören von den Edlen Wahrheiten: Menschen leiden, weil ihre »Seele« gierig ist nach Gütern und Erfolg, und weil sie davon nicht genug bekommen können; was sie doch erreichen, vergeht wieder, das macht sie traurig. »Ich glaube an Gott, das macht mich frei von solcher Gier«, reagiere ich auf ihn. »Gut«, wiederholt er, »aber dein ›Ich‹ bildest du dir ein, das gibt es nicht. Höre auf, dein ›Ich‹ zu pflegen, lass es los! Sorge dich nicht um dich, sondern um die Menschen!« Ich finde nicht, dass dem Mönch Demut fehlt.

Die Nacht wollen Sunil und ich auf dem Hip Strip Colombos erleben, am Galle Face Green. Auf der Fahrt dorthin kommt mein Begleiter auf die Autos zu sprechen: »Die Engländer haben Straßen, Eisenbahnen und Häfen gebaut, um Rohstoffe abzutransportieren – und sie haben uns gehindert, unser Agrarland weiterzuentwickeln.« Der Grünstreifen am Indischen Ozean ist überfüllt: Im grellen Licht von Garküchen tummeln sich Muslime und feiern ihr Ramadanfest. Einer ganz und gar schwarz Verschleierten glotze ich indiskret in ihren Augenschlitz – sie lächelt. An diesem einen Tag haben mich mehr Menschen angelächelt als zu Hause in einer Woche.

Auf unserem Weg nach Negombo sehen wir Hinterlassenschaften europäischer Mächte: holländische Kanäle und portugiesische Kirchen. In der St. Mary Church lerne ich Robin kennen, einen singhalesischen Katholiken, der mit einer Muslima verheiratet ist. Seine Kinder tragen jeweils einen christlichen und einen muslimischen Namen. Mit seiner Frau begeht er das Ramadanfest in der Moschee, sie mit ihm Weihnachten in der Kirche. Beide Religionen seien sich darin einig, dass sie Götterstatuen ablehnten, Gott sei unsichtbar, verdeutlicht er. Und viele Götter anzubeten, dazu auch noch eine Kuh, geht gar nicht. Trotzdem könne ein Hindu oder ein Buddhist sein Freund sein, versichert er. Aber ein Tamile? Robin hat als Soldat im Bürgerkrieg der Singhalesen gegen die indischen Tamilen gekämpft, durch eine Schussverletzung ist eine Körperseite gelähmt. Sein lahmes Bein erinnert ihn jeden Tag daran, wer das war. Nach Lächeln ist ihm nicht zumute.

Am ältesten Baum der Welt

300 Pilger fielen 1985 in Anuradhapura einem Massaker der millitanten Tamilenorganisation Tamil Tigers zum Opfer. 2009 wurde der fast 30-jährige Bürgerkrieg beendet, jetzt gilt die »heilige Stadt« als sicher. Sunil erklärt mir, dass die Terroristen aus Indien kamen, um Unruhe zu verbreiten; ich werfe vorsichtig ein, ob sich die Tamilen nicht gegen ihre Diskriminierung gewehrt haben und vergleiche den Konflikt mit der Unterdrückung der Iren durch die Engländer? Davon will er nichts wissen. Ich hake nach: „Mönchssoldaten haben zur Tötung von Tamilen aufgerufen und selbst getötet – aber sie lehren doch Gewaltlosigkeit.“ Die Mönche haben unser Land geschützt.“ Mehr sagt er dazu nicht.

Die Stadt Buddhas quillt über: Pilger aus allen Regionen der Insel und anderen buddhistischen Ländern kommen zu einem Vollmondfest. Wir kaufen Lotosblumen und legen sie vor eine Buddhafigur. »Auf Sri Lanka gibt es christliche Missionare, die das nie machen würden, sie machen den Buddhismus schlecht«, weiß mein Begleiter. »Das sind Fanatiker«, erkläre ich ihm, »Buddha war ein weiser Mensch, der das Gute im Menschen stärkte und Achtung vor allen Lebewesen lehrte – als Christ kann ich ihn respektieren und von ihm lernen.«

Der Strom der Pilger-Masse zieht uns zum Bodhibaum. Vor dem mit angeblich 2000 Jahren ältesten Baum der Welt knien die Gläubigen, verneigen sich, sitzen mit geschlossenen Augen: Er ist ein Ableger des Baumes, unter dem der Buddha in Nordindien seine Erleuchtung erlangte. Dem alten Baum müssen zwar seine Äste abgestützt werden, so morsch sind sie, aber er strahlt Heiligkeit aus.

Zum Mittag gibt es heute wie auch gestern und wohl morgen rice and curry, Reis mit verschiedenen Gemüsen und dazu Rothi, Fladenbrot – mit Fingern gegessen. Alkohol ist heute verboten. Mittels großer Lautsprecher verbreiten Mönche Buddhas Lehren über die ganze Stadt. »Kein Gott ist es, du bist für dich verantwortlich«, beschreibt mir Sunil die Essenz des Buddhismus. »Ja, aber wie Eltern ihren Kinder, gibt Gott Führung und Kraft«, erwidere ich. »Wenn du wahrhaftig zu dir selbst bist, erkennst du deinen Weg«, bekomme ich zu hören. »Wenn ich wahrhaftig bin, gelingt es mir, Gottes Willen zu verstehen«, erwidere ich. Und es geht weiter nach Mihintale.

In der Höhe Abstand von alltäglichen Gedanken gewinnen

Wir steigen die tausend Stufen des hoch aufragenden Felsens Aradhana Gala hoch. Eine Reise durch die Lüfte, erzählt eine Legende, brachte den indischen Mönch Mahinda an den Ort. Dort traf er auf den König, der gerade jagte. Der Mönch belehrte den Herrscher und brachte ihn zur Konversion, gleich begann er Dagobas, Reliquienschreine, Klöster und ein Krankenhaus zu bauen – Tiere zu töten, gab der König auf.

Mihintale ist die Wiege des Buddhismus auf der Insel. Sunil trägt mir Teile der Satthipathana Sutra vor, eines Meditationstextes aus den Heiligen Schriften. In der Höhe falle es leichter, Abstand zu gewinnen von alltäglichen Gedanken: »Achte auf dein Aus- und Einatmen – und lasse alle Gedanken los«, leitet er an. Ich folge. Von selbst verbindet sich mein Mantra »Jesus« mit dem Ausatmen. Nach einigen Minuten Stille berichte ich ihm von meiner Meditation. Sunil: »Wenn du du selbst bist, ist alles in Ordnung.« Ich hatte das Gefühl. Aber nicht lange – auf dem high way to hell. Wieder und wieder beweist unser Fahrer, dass beim missglückten Überholen notfalls auch drei Fahrzeuge nebeneinander auf die Straße passen. Ich will das eigentlich gar nicht bewiesen haben. Offensichtlich vertraut er auf seine Miniatur-Dagoba auf der Frontablage. Die Hindus setzen an gleicher Stelle auf ihre Götter und Gurus, die Muslime auf ihre arabischen Kalligraphien und Christen auf ihren Heiligen Christophorus. Obwohl unser Fahrer in einer kindlichen Weise überhaupt keinen Sinn für Gefahren zu kennen scheint, kommen wir im Hochland in Kandy an.

In der frischen, würzigen Luft des Royal Forest Parks erhole ich mich wieder. Am Eingang des Waldes springen viele Kleinaffen in den Bäumen und auf einem großen, grünen Schild herum. Zu lesen ist eine Erklärung, die der Mönch Mahinda dem König einst gegeben hatte: »Tiere haben ein gleiches Recht, Teil des Landes zu sein wie Menschen. Nicht dir gehört das Land – du bist nur sein Wächter.« Der Direktor des Parks betont die von Buddha erkannte Gleichheit aller Lebewesen; er hält mir vor, dass im christlichen Denken der Mensch von der Natur, von den Tieren, abgesondert und über sie gestellt werde. »Buddha predigte ein absolutes Tötungsverbot, während für Christen Töten normal ist«, kritisiert er. Ich bestätige ihm, dass die Natur in Europa in ihrem Nutzwert für den Menschen gesehen wird und nicht in ihrem Eigenwert, als Schöpfung Gottes. Ich nenne Albert Schweitzer, der anders dachte, »Ehrfurcht vor allem Leben« einforderte und in Afrika ein Hospital für Tiere eröffnete. »Was machen Sie aber, wenn die Affenpopulation im Park zu groß wird«, frage ich den Direktor. »Wie auch immer wir das Problem lösen: wir lassen sie alle am Leben.«

Fehlt den Europäern Demut?

Im Zahntempel in Kandy flöten und trommeln die Diener um die Wette – wer kann am lautesten. In einem Schrein wird ein Zahn des Buddhas aufbewahrt. Sich mindestens eine Stunde anzustellen, um sich endlich vor dem Zahn verbeugen zu können, erbringt gutes Karma; mit gutem Karma kann schlechtes, zum Beispiel durch das fahrlässige Töten eines Tieres, ausgeglichen werden; gutes Karma führt zu einer Wiedergeburt in ein besseres nächstes Leben. »Alles, was du tust, fällt über kurz oder lang auf dich zurück«, erklärt mir Sunil. Mir fällt dazu ein biblisches Sprichwort ein: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«

Auf der Fahrt an die Südküste nach Galle habe ich Zeit darüber nachzudenken, ob Buddhisten Demut fehlt. Mir drängte sich die Frage auf: Fehlt nicht eher uns Europäern Demut? Auch Galle hatten Europäer, Holländer, einstmals erobert, beherrscht, Tempel abgerissen und Kirchen gebaut. Wir besuchen die Meera Moschee, die mal eine klassizistische Kirche war. Sunil will nicht mit hinein gehen. Jeder solle leben, wie er wolle, aber die Muslime bekämen Geld aus Saudi Arabien, damit sie viele Kinder zur Welt brächten und bald die Insel beherrschten. Da ist die Angst der singhalesischen Mehrheit wieder: dass eine Minderheit sie unterwirft. Hoffentlich haben sie aus dem 26-jährigen Bürgerkrieg gelernt, Spannungen friedlich abzubauen und zusammen zu leben im Frieden Buddhas.