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Reisemagazin „unterwegs“, Ausgabe Winter 2023 („unterwegs.reisen“):
Glosse: Promis an Bord
Was für ein Highlight: Weihnachten mit einem Prominenten feiern. Du hast das noch nicht erlebt, lieber Leser, liebe Leserin? Dann buche mal fix eine Kreuzfahrt, auf der Mickie Krause oder ein Starkollege von ihm an Bord ist. Eigentlich rockt Mickie den Ballermann auf Mallorca, auf der Aida Nova war er letztes Jahr das Weihnachtsspecial oder passender ausgedrückt: das Weihnachtsgeschenk für seine Fans. Nirgends kann man Promis über eine längere Zeit so nahe sein wie auf einem Kreuzfahrtschiff. Sie schlendern übers Deck, sie essen in den Restaurants, sie sitzen an den Bars, sie nehmen an den Landgängen teil, sie murmeln „Scheißwetter“ vor sich hin – wie du und ich. Nur, irgendwann sind sie gar nicht mehr die Stars, sondern verwandeln sich zu Mitreisenden, die eben auch da sind wie du und ich. Kreuzfahrt ist Sozialismus: Alle sind gleich!
Wie sollen wir jetzt auch noch die fünfte Kränkung der Menschheit aushalten? Erstmals gekränkt waren wir, als sich herausstellte, dass die Sonne sich gar nicht um die Erde drehte; zum zweiten Mal, als wir begriffen, dass wir mit Affen 99 Prozent unserer Gene teilen; zum dritten Mal, als wir bemerkten, dass unser bewusstes Ich nicht Herr im eigenen Haus ist; zum vierten Mal als die Roboter uns im Schach schlugen und zum fünften Mal als ein Promi morgens am Nachbartisch frühstückte und überhaupt nicht strahlte, als hätte er gerade drei Glühbirnen verschluckt. Promi schlug nämlich gerade ziemlich unengagiert dem Frühstücksei den Kopf ab – wie du und ich. Auf einer Reise lernte ich den schwarzen US-Saxophonisten Waldo Weathers kennen. Wir saßen zusammen an einem runden Frühstückstisch. Ich fragte ihn: Waldo, was ist eigentlich Jazz? Er dachte nach und antwortete mir: Du musst mal eine Note etwas falsch spielen, dann klingt das jazzig. Darauf ich: Deshalb klingt dein Saxophon so falsch. Waldo Weathers reagierte nicht, sondern konzentrierte sich auf sein Ei und schlug ihm treffsicher den Kopf ab. Mir war mein Witz peinlich. Er war offenbar gekränkt. Doch dann guckte Waldo in die Runde, lächelte und meinte: „This is a good man!“ Wir frühstückten weiter und ersparten uns schwere Themen.
Udo schafft die Frühstückszeit nicht. Nachts hockt er auf MS Europa lange in der Crewbar und klönt mit deutschen Köchen und philippinischen Matrosen. Wird ihm langweilig, geht er ein Deck höher in die Clipper Lounge, er kennt den Barkeeper von vielen Aufenthalten auf dem Schiff. Plötzlich fährt ein elan vital in Udo Lindenberg, der wilde Geist der Kunst. Er eilt in seine Suite, holt Staffelei und Leinwand, eilt zurück in die Lounge, lässt sich Likör geben, mixt Likörfarbe zusammen und legt los. Ein Bild nach dem anderen entsteht. Passagiere bleiben hinter ihm stehen, nicken anerkennend. Am Ende des Schöpfungsaktes schickt er die Kellner los, Föhne zu besorgen. Bis Sonnenaufgang pusten sie die Werke des Meisters trocken. Was der Meister malt? Sich selbst. Udo am Bug der Andrea Doria, Meerjungfrauen schwimmen aus allen Richtungen herbei. Udo auf einer einsamen kleinen Insel, im Hintergrund versinkt sein Schiff, Udo hebt ein Glas mit rotem Likör: „Keine Panik!“ Was würden wir denn malen, könnten wir malen? Na, doch uns selbst. Oder? Udo – ein Mensch wie du und ich.
Im Mittelalter hätte es für Mickie und Udo sicher auch Anerkennung gegeben, aber keine Verehrung, die stand allein den christlichen Heiligen zu. Die Neuzeit jedoch gab sich einer bis dahin nie gekannten Heiligenmüdigkeit hin und lässt Sänger, Fußballer und Comedians ihre einmalige Chance erkennen: Nehmt uns! Wir sind jetzt eure Heiligen! Ich bin jetzt nicht mehr Michael Engels für euch, sondern Mickie Krause – und die Jünger und Jüngerinnen kreischen und heulen. Dann sitzt da der Mickie beim Frühstück und köpft sein Ei. Und du denkst: Was für ein normaler Heiliger.
Und dann patzt auch noch der Fuchsberger? Zu Lebzeiten füllte er spielend die Europalounge des Kreuzfahrers, wenn er von seiner Rolle als Inspektor Higgins in den Edgar-Wallace-Filmen erzählte. Joachim Fuchsberger soll eigentlich nur aus seinem Buch „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ vorlesen. Er legt es auf einmal zur Seite und lobt seine Frau Gundula über alle Maßen. Wie schön! So gehört es sich für einen selbstlosen, bescheidenen Heiligen. Doch dann fängt er auf der Loungebühne an zu schnarchen und macht die vier Phasen des Schnarchens seiner Frau vor: Leicht, mittel, heftig und orkanartig. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Die Damen im Auditorium sind empört, sie eilen raus aus der Lounge und ziehen ihre Männer mit sich. Fuchsberger schnarcht indessen weiter. Gundula lächelt sanft wie ein Buddha. Sie kennt ihren „Blacky“. Er ist eben auch nur ein Mensch.
Wir sind eben alle keine Übermenschen, sondern nur Menschen mit Stärken und Schwächen, Sehnsüchten und Ängsten, von Gott geliebte Normalos – oh, Entschuldigung: Jetzt rede ich wie der Pfarrer im Weihnachtsgottesdienst auf den Kreuzfahrtschiffen…
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